Disclaimer:

Content Notes: Thematisierung patriarchaler und insbesondere sexualisierter Gewalt (keine Beschreibungen konkreter Fälle); Verwendung von Begriffen, die mit sexualisierter Gewalt in Zusammenhang stehen; konkrete Beispiele und Zitate für täterschützendes Verhalten und die Relativierung sexualisierter Gewalt; allgemeine Schilderungen von Sexualstrafverfahren

In diesem Text beschäftigen wir uns mit dem Thema patriarchaler Gewalt in linken, vor allem antifaschistischen Strukturen. Zu diesem Thema wurde in den letzten Jahren einiges veröffentlicht. Da eine Auseinandersetzung damit im Jahr 2023 und insbesondere in den letzten Monaten zentral für uns war, möchten wir dennoch unsere Gedanken mit euch teilen und unseren internen Prozess transparent machen. 

Wir verstehen diesen Text als Debattenbeitrag und nicht als eine abschließende Antwort.

Weil die Passagen von verschiedenen Mitgliedern der Kampagne geschrieben wurden, unterscheiden sich die Schreibstile und Ausdrucksformen.

Die Mehrheit der Personen, die Teil der Kampagne „Wir sind alle Linx“ sind, werden geschlechtsspezifisch vom Patriarchat unterdrückt.

Wir verwenden das gegenderte Wort Täter für Personen, die sexualisierte Gewalt ausgeübt haben, um die strukturelle Gewaltausübung von cis Männern sichtbar zu machen. Uns ist allerdings bewusst, dass Menschen jeden Geschlechts Gewalt ausüben können. Wir übernehmen die Bezeichnung die Betroffenen, wie sie von den Verfasser*innen dieses Indymediabeitrages [1] vorgeschlagen wurde, um ein individualisiertes und vergeschlechtlichtes Narrativ zu durchbrechen. 

1. Hinführung

Als Kampagne, die sich dem Thema der Kriminalisierung von Antifaschismus widmet, haben wir seit unserer Gründung einen großen Teil unserer politischen Arbeit in die Begleitung des Antifa Ost Verfahrens gesteckt.

Dabei sind die Geschehnisse zu Täterschaften und Täterschutz im Solidaritätsbündnis „Soli-Antifa-Ost“ (SAO) auch an uns nicht vorbeigegangen. Dennoch haben wir es als Kampagne wissentlich versäumt, öffentlich Stellung dazu zu beziehen. Als Konsequenz, möchten wir versuchen, einen Debattenbeitrag zum Diskurs um sexualisierte Gewalt innerhalb linker Strukturen beizusteuern, der unsere Arbeitsprozesse und besonders eigene Fehler offen reflektiert, sowie unsere Haltung zum Thema darlegt.

Die Kampagne Wir sind alle Linx gründete sich Anfang 2021 aufgrund der zunehmenden Repressionen gegenüber linkspolitisch agierenden Personen und Strukturen in den letzten Jahren. Diese Repressionen standen zu großen Teilen in Verbindung mit der Gründung der „Sonderkommission Linksextremismus“ (Soko Linx) des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen.

Dabei war es uns ein Anliegen, deutlich zu machen, dass die Kriminalisierung ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und nicht nur linksradikale Strukturen betrifft, sondern eben auch für die breite Zivilbevölkerung, insbesondere in Ostdeutschland, eine große Bedeutung hat.

Da aufgrund des staatlichen Vorgehens im Antifa-Ost-Prozess schnell klar wurde, dass hiermit ein medienwirksames Exempel an Antifaschist*innen statuiert werden soll, begleiteten wir das Verfahren politisch und standen seit unserer Gründung im Austausch mit dem SAO. Das bedeutet konkret, dass sich Mitglieder unserer Kampagne an Plena mit dem SAO beteiligten und wir Informationen mit verschiedenen Ansprechpartner*innen aus dem Bündnis austauschten, um Absprachen zu Demos und Kundgebungen, Prozessbegleitung oder Öffentlichkeitsarbeit gewährleisten zu können. 

Entsprechend sehen wir die Intransparenz und das Vorgehen des SAO als extrem kritisch an, besonders weil wir trotz der Zusammenarbeit kaum Informationen zu den internen Vorgängen im SAO erhalten haben. Auch wurden wir erst durch die viel zu spät veröffentlichten Stellungnahmen über den Umgang mit den Geschehnissen informiert.

Darunter zählt besonders auch das Ausmaß der Täterschaften, sowie des tätersolidarischen Verhaltens, das uns bis zur Veröffentlichung des ersten Statements nicht bewusst war. Entsprechend möchten wir unsere Wut und Enttäuschung darüber ausdrücken, dass hier wissentlich über Monate hinweg Informationen verschwiegen und Genoss*innen immer wieder in unsichere Arbeitsräume eingeladen wurden. 

Um einen chronologischen Überblick über die Ereignisse zu erhalten, verweisen wir auf die Statements, insbesondere das Zweite des SAO [2][3].

Aufgrund unserer Nähe zum SAO-Bündnis sahen wir uns, wie wahrscheinlich viele andere kooperierende Strukturen, in der Pflicht, eine Stellungnahme zu den Geschehnissen zu veröffentlichen. Darauf folgte ein mühsamer und langwieriger Prozess, einen adäquaten Beitrag zu verfassen. Immer wieder wurden diesbezüglich Aufgaben verschoben oder andere Aufgaben priorisiert. Trotz der Dringlichkeit gelang es uns nicht, verbindliche Arbeitsaufträge zu verteilen und eine Stellungnahme zu formulieren.

Denn auch in der Kampagne hatten wir es mit verschiedenen Formen der Täterschaft sowie patriarchalen Verhaltensweisen zu tun. Wie Anfangs bereits erwähnt, besteht unsere Kampagne größtenteils aus Genoss*innen, die strukturell unter dem Patriarchat leiden. Und trotzdem: auch bei uns dauerte es Ewigkeiten bis dem ganzen Gehör verschafft wurde und auch bei uns mussten Genossinnen wieder und wieder und teils unter Tränen erklären, warum das grade überhaupt eine Täterschaft sei, beziehungsweise sich Sätze wie „Für mich ist das trotzdem noch ein Genosse“ anhören.

Als Resultat versuchten wir verschiedene interne Reflexionsprozesse anzustoßen. Dabei ging es zunächst um die Auseinandersetzung mit der Reproduktion patriarchalen Verhaltens innerhalb unserer Kampagne. Durch Selbst- und Fremdeinschätzungen wurde versucht, problematisches Verhalten deutlich zu machen und daraus Ziele für die zukünftige gemeinsame Arbeit zu formulieren. Nach Aufforderung von Genossinnen aus dem Plenum entstand ein kritischer Lesekreis, der sich explizit an die Männer richtet. Dieser setzt sich inhaltlich mit dem Thema Männlichkeiten und pro-feministischem Verhalten auseinander. Die unbefristete Arbeitsgruppe soll auf Grundlage von Literatur einen kritischen Austausch über eigenes patriarchales Verhalten fördern, um langfristig Verhaltensänderungen anzuregen.

Da aus unserer Sicht eine Stellungnahme zu den Vorkommnissen im SAO mittlerweile viel zu spät und unpassend erscheint, möchten wir versuchen einen Debattenbeitrag zu leisten, um problematische Prozesse im Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb linker Strukturen deutlich zu machen und zu möglichen Lösungsansätzen anregen. 

Das Resultat des zweiten Reflexionsprozesses ist dieser Text.

2. Ist-Zustand

Auch in linken Räumen, welche oftmals als Freiräume oder „Safe Spaces“ begriffen werden, gibt es Übergriffe und sexualisierte Gewalt. Denn auch Linke sind mit den patriarchalen Unterdrückungsmustern des Kapitalismus sozialisiert worden. 

Grade deswegen ist eine Auseinandersetzung mit Sexismus und sexualisierter Gewalt extrem wichtig.

Beispielhaft für die Sexismuserfahrungen von linkspolitisch aktiven FLINTA*-Personen sind dominante und raumeinnehmende Verhaltensweisen auf Plena, Demos, bei (militanten) Aktionen oder eben im Diskussionsverhalten. Genoss*innen werden oft nicht als gleichwertig wahrgenommen und behandelt.

Die Alltäglichkeit dieser Probleme in linken Strukturen, bzw. das fehlende Gehör für diese, verschleiert oft, dass es sich auch hier um Machtstrukturen und Gewalt handelt.

Die Ignoranz und Passivität von cis-Männern in feministischen Belangen und ihre aktive Komplizenschaft im Patriarchat sollen mit »Kritischer Männlichkeit« reflektiert und bekämpft werden. Doch allzu oft geschieht dies individualisiert und abseits von realen Konflikten. Wenn ­in Workshops und offenen Runden über Männlichkeit geredet wird, bleibt die Auseinandersetzung oft selbstzentriert und konsequenzlos. Das diffuse Herumstochern in »Männlichkeit an sich« fördert eher Selbstmitleid und die Suche nach einer alternativ-männlichen Identität statt einer ernsthaften Konfrontation mit sich und ­anderen cis-Männern. Vorbereitete Veranstaltungen zum Thema (häufig vorbereitet durch Personen, die selbst vom Patriarchat betroffen sind), die sich auch an cis Männer richten, werden von diesen regelrecht überrannt. Sie erwarten dort einen schon fertigen Plan für die Auseinandersetzung mit patriarchalen Persönlichkeiten und die Reflektion dieser. Eigene Organisationsversuche, die nicht auf einem solchen Service basieren, versanden dagegen meist schnell. Genau diese ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Verstricktheit im Patriarchat ist aber notwendig, damit cis Männer die Einsicht erhalten, dass auch sie einen Beitrag im Kampf dagegen leisten können und zusätzlich von einer Welt frei vom Patriarchat sogar profitieren würden.

Die Beschäftigung mit (Pro-)feministischen Ansätzen ist für Männer in der Regel ein schmerzhafter Prozess, denn keiner will in sich das erkennen, was man doch – zumindest den Parolen nach – zu bekämpfen meint.

Und weil sich Männer eben häufig aussuchen können, ob sie sich in diesen schmerzhaften Prozess hineingeben wollen, finden solche Prozesse in der Breite unserer Bewegung nicht statt. Dass die Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und seiner Überwindung für FLINTA*Personen eben keine Entscheidung ist, muss nicht erwähnt werden.

Wir wollen, dass auch cis MännerVerbündete im Kampf gegen das Patriarchat werden. Dafür müssen sie sich aber zuerst mit ihrem eigenen Verhalten auseinandersetzen und neue, radikal zärtliche Verhaltensweisen entwickeln [Şeyda Kurt], die radikal/grundlegend andere politische (aber auch private) Beziehungen ermöglichen.

3. Hauptteil

a) Zusammenhang von antifaschistischer Arbeit und (sexualisierter) Gewalt

Es ist kein Zufall, dass sich Solidaritätskreise und Antirepressionsgruppen so häufig mit sexualisierten Gewalttaten und Täterschaften durch Betroffene von Repressionen auseinandersetzen müssen. Denn ein gesteigertes dominantes und klassisch „maskulines“ Gehabe gilt oftmals als eine absolute Notwendigkeit, im Angesicht eines extrem gewaltaffinen politischen Gegners, seien es Bullen oder eben Faschos.

Dies erscheint zunächst recht einleuchtend. Wer die eigene politische (antifaschistische) Arbeit primär durch militante Aktionen durchführt, bei denen körperliche Gewalt oft gefordert ist und dann im Nachhinein schweigend den normalen Alltag bestreitet, ohne sich mit den Genoss*innen darüber auszutauschen um das Erlebte auszuwerten, für den wird diese Form der Gewalt jedes Mal ein Stück weit normalisiert.

Die allermeisten unserer Genossen werden allerdings behaupten, dass sie natürlich politischen Gegnern wie Bullen oder Faschos oder sogar Tätern (aus vermeintlich gut gemeinter Solidarität) ‚aufs Maul geben‘ würden, diese Gewaltaffinität aber immernoch „abschalten“ oder trennen können.

Aber: diese Gewaltaffinität, die in unseren Kreisen herrscht, wird nicht einmal mehr als Kennzeichen einer patriarchalen Persönlichkeit gedeutet und wird dadurch in einer Vielzahl von Gruppen und Kontexten bis hin zu unseren privatesten Freund*innenschaften permanent reproduziert.

Bis es zu einem Eingeständnis patriarchalen Verhaltens kommt, bei sich selbst oder  anderen Genossen, vergeht viel zu viel Zeit und etwaige Reaktionen werden immer noch mehrheitlich von den FLINTA*-Genoss*innen getragen, die diese Zustände nicht mehr aushalten können und/oder wollen.

b) Solidarität mit von Repressionen betroffenen Tätern

In antifaschistischen Kontexten kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Menschen von Repressionen betroffen sind und Unterstützung benötigen und gleichzeitig Personen sind, die sexualisierte Gewalt ausüben oder ausgeübt haben. Solidarität als unsere stärkste Waffe gegen zunehmende Kriminalisierungsbestrebungen muss in eben diesen Situationen hinterfragt, beleuchtet und in einen größeren Zusammenhang gebracht werden. Fragen, die sich uns hier gestellt haben sind folgende: Hat Solidarität Grenzen? Wenn ja, wo liegen diese Grenzen? Und wie kann eine Solidarität mit von Repressionen betroffenen Tätern aussehen?

Wenn man über Menschen, die von Repressionen betroffen sind erfährt, dass diese Menschen Täter sind, ist die erste Entscheidung, die getroffen werden muss folgende: Gegenüber betroffenen Personen ist Solidarität geboten. Im Fokus müssen immer die Forderungen, Bedürfnisse und Wünsche von Betroffenen stehen, auch wenn diese bedeuten, dass keine weiteren Solidaritätsbekundungen gegenüber von Repression betroffenen Tätern erfolgen sollen.

Gleichzeitig scheint es immer wieder zu Aussagen zu kommen, es würde einen Unterschied machen, was genau vorgefallen ist. Solchen implizierten Fragen bzw. Forderungen nach Details müssen wir entschieden entgegentreten. Natürlich haben wir alle ein ansozialisiertes Stufensystem, bei dem die Schlimmste aller Gewaltformen an der Spitze steht und am anderen Ende die alltägliche Gewalt, an die wir uns fast schon gewöhnt haben. Diese Sozialisierung wird gefüttert von Skripten, die beschreiben, wie genau sexualisierte Gewalt abläuft, wobei solche Vorstellungen häufig von Medien und medialen Inszenierungen geprägt sind. Wenn Übergriffe den Vergewaltigungsmythen und den damit produzierten Bildern nicht entsprechen, werden sie häufig nicht ernst genommen oder  nicht einmal als sexualisierte Gewalt definiert. Solchen Szenarien müssen wir als Bewegung kollektiv entgegentreten und Solidarität mit Betroffenen einfordern. Zusätzlich ist auch das Inerfahrenbringen von Details weder die Antwort auf Probleme innerhalb von Strukturen, noch fördert es die kollektive Verantwortungsübernahme. Denn bei solchen Aussagen bzw. Fragen wird, wenn auch indirekt, eine Individualisierung der sexualisierten Gewalt vorgenommen, die nicht nur retraumatisierend sein kann, sondern auch dem Bewusstsein und der Wahrnehmung sexualisierter Gewalt als strukturelles Problem und damit als strukturelle Aufgabe entgegensteuert. 

Die nächste Frage, die wir uns stellen müssen, wenn eine Aufgabe der Solidarität nicht gefordert ist oder es keine Möglichkeit gibt, mit betroffenen Personen bzw. deren Umfeld ins Gespräch zu kommen, ist, wie diese Solidarität mit von Repressionen betroffenen Tätern aussehen kann. Zunächst einmal ist wichtig festzuhalten, dass Solidarität im Allgemeinen und Solidaritätsausübungen im Konkreten nur erfolgen können, wenn Forderungen von Betroffenen bzw. deren Umfeld erfüllt werden. Es muss deutlich gemacht werden, dass der Täter an einer ernsthaften Auseinandersetzung und Aufarbeitung interessiert ist und sich dies auch selbstständig als Aufgabe zu eigen macht. Wie genau eine solche Auseinandersetzung und Aufarbeitung aussehen kann, ist natürlich stark einzelfallabhängig und sollte vom Umfeld des Täters mitgetragen werden. Bei einer fehlenden Auseinandersetzung oder Nicht-Einhaltung von Forderungen bzw. Wünschen ist die Solidarität zu entziehen. Denn wer eine Gefahr für seine Genoss*innen und Freund*innen darstellt, weil ihnen weitere sexualisierte Gewalt durch eben diesen Täter droht, muss kollektiv sanktioniert werden. 

Gleichzeitig scheint es häufiger ein Phänomen in der linken Bewegung zu sein, Menschen, die von starken Repressionen betroffen sind zu glorifizieren. Wie dieses Phänomen generell einzuordnen ist, wird an dieser Stelle nicht diskutiert. Allerdings sollte erwähnt werden, dass eine Glorifizierung und Heroisierung mit von Repressionen betroffenen Tätern ein Konstrukt ist, was für eine Aufarbeitung und eine kollektive Verantwortungsübernahme gefährlich werden kann. Es kann dazu kommen, dass Betroffenen aufgrund einer solchen vorgenommenen Glorifizierung weniger geglaubt wird oder dass die Auseinandersetzung mit der ausgeübten sexualisierten Gewalt nicht mehr priorisiert wird bzw. gar keinen Raum mehr findet. Somit sollten wir als linke Bewegung einer Glorifizierung keinen Raum geben und wenn diese vorgenommen wird, uns damit auseinandersetzen und uns der potenziellen Konsequenzen bewusst sein. 

„Täterschutz“ wird meistens mitgenannt, wenn es um das Verurteilen von sexualisierter Gewalt und patriarchalen Strukturen geht. Häufig fehlt allerdings eine tiefgehendere Auseinandersetzung und Aufarbeitung. In den vergangenen Jahren konnten wir beobachten, wie sich bei Öffentlichwerdung von sexualisierter Gewalt die (inbesondere männlichen) Umfelder von den Tätern abgrenzen, häufig auch diejenigen, die diese zuvor geschützt haben. Dabei kritisieren wir die oft stattfindende Verantwortungsabweisung von sich selbst, als würde patriarchale Gewalt im luftleeren Raum geschehen. Selten sind es die männlichen „Genossen“, die auf patriarchale Dynamiken aufmerksam machen und Betroffenen mit Solidarität begegnen, wenn sie von ihren Betroffenheiten erzählen. Im Gegenteil: von sexistischen Verhaltensweisen, dem Ignorieren und nicht Ernstnehmen von Anzeichen patriarchaler Gewalt, bis hin zu Mitwisser*innenschaft und aktivem Täterschutz – All das ist nichts Neues für uns. 

Das Problem ist nicht zu lösen, indem lediglich Täter aus Strukturen geworfen werden und sich nicht weiter mit ihnen und den Vorfällen beschäftigt wird. Als Umfelder müssen wir uns mit unseren eigenen Anteilen beschäftigen und Verantwortung für unser Verhalten und das unserer Genoss*innen übernehmen. In Bezug auf täterschützendes Verhalten innerhalb von politischer Solidaritätsarbeit ist eine intensive Auseinandersetzung notwendig und wichtig. Dabei steht eine betroffenenzentrierte Vorgehensweise im Fokus und Strukturen die ein solches Verhalten erst ermöglichen, müssen hinterfragt und konfrontiert werden. 

Abschließend kann gesagt werden, dass eine Solidarität mit von Repressionen betroffenen Tätern – je nach Einzelfall – gänzlich entzogen, eingeschränkt werden oder an Bedingungen geknüpft sein muss und immer nur bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit dem eigenen Täterverhalten erfolgen kann. Nur so schaffen wir stabile, auf gegenseitiges Vertrauen und Respekt vor den Grenzen anderer basierenden Beziehungen, welche die Grundlage für eine radikale Praxis darstellen. 

c) Hierarchisierung von sexualisierter Gewalt

Das Vorkommen sexualisierster Gewalt innerhalb der linken Bewegung ist leider keine Seltenheit und auch kein Thema, dass linke Strukturen erst seit kurzem vor Herausforderungen stellt. Umso wütender macht es, mit anzusehen, wie teilweise wenig bis gar keine Priorisierung bezüglich dieses Themas erfolgt. Diese Wut gilt nicht nur anderen Strukturen, sondern auch unserer Eigenen. 

In unserer Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen in den letzten Monaten haben wir auch immer wieder darüber gesprochen, wie es dazu kommen kann, dass es eine Hierarchisierung von Themen zu geben scheint und die Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen bzw. sexualisierter Gewalt sich immer wieder am unteren Ende der Hierarchie wiederfindet. Mögliche Erklärungen reichten von Faulheit und Bequemlichkeit, über eine verspürte Distanz zu dem Thema, hin zu einer Passivität von Männern und teilweise sogar der Komplizenschaft im Patriarchat. Natürlich ist es wichtig, individuelle Gründe für eine fehlende Priorisierung festzumachen und diese zu reflektieren. Genau so wichtig ist es allerdings, über mögliche Gründe nicht nur von Individuen, sondern Gründe der linken Bewegung zu sprechen. Denn wie bereits deutlich gemacht: Die Auseinandersetzung mit patriachalen Strukturen und sexualisierter Gewalt ist keine Einzelaufgabe, sondern eine Aufgabe, der wir uns als gesamte Bewegung stellen müssen. Feministische Praxis darf nicht einfach nur ein kleiner Teil des antifaschistischen Kampfes darstellen, sondern muss die Grundlage dafür sein. Dass dabei die Zerstörung des Patriarchats von manchen Menschen, insbesondere cis Männern als nicht kämpferisch oder aktionsvoll genug wahrgenommen wird, ist eine Hürde, die überwunden werden muss. Eine radikale Praxis funktioniert nur dann, wenn wir gegenseitigen Respekt vor den jeweiligen Grenzen haben. Wenn dieser Respekt und das damit einhergehende Vertrauen nicht als Grundlage gegeben ist, ist der antifaschistische Kampf langfristig gesehen nicht widerstandsfähig genug. 

d) Kollektive Verantwortungsübernahme und transformative Gerechtigkeit

Was aber nun tun? Wie können wir einen solidarischen und kollektiven Umgang mit patriarchaler Gewalt in unseren Strukturen erlernen?

Klar ist, der Staat und die Justiz können uns nicht helfen. So stellenGrenzüberschreitungen häufig keine strafrechtlich relevanten Handlungen dar und wenn das der Fall ist, sind Beweise selten vorzuweisen. In einem Strafverfahren wird nicht im Sinne der Betroffenen agiert, stattdessen müssen sie einen häufig retraumatisierenden Prozess durchleben und laufen Gefahr von Cops noch zusätzlich behelligt zu werden. Die Rechtsfolge sieht eine Auseinandersetzung mit dem Täter nicht vor, sollte es zu einem Schuldspruch kommen, ist das Ziel die Bestrafung des Täters, wobei das selten zu einer tatsächliche Verhaltensänderung führt. Sexualisierte und patriarchale Gewalt wird im Rahmen von Gerichtsverfahren individualisiert. Weder Täterschützer*innen noch die Umfelder werden zur Verantwortung gezogen. Die gesellschaftlichen Ursachen für die patriarchale Gewalt bleiben unangetastet. Das herrschende System hat daran auch überhaupt kein Interesse, denn das Patriarchat ist einer der Grundpfeiler, auf dass es sich stützt.

Man könnte also annehmen, dass sich insbesondere Betroffene aus der linken Szene nicht an die Justiz als Ansprechpartnerin wenden. Die traurige Wahrheit ist aber, dass sie häufig gar keine andere Wahl haben. Die Betroffenen werden viel zu häufig von ihren „Genoss*innen“ im Stich gelassen, ihnen wird nicht geglaubt und es folgen keine Konsequenzen. Insbesondere die gefühlte Verantwortung der Betroffenen weitere Personen vor dem Täter zu schützen, kann ein wichtiger Bewegunggrund sein. Es ist unser daher aller Verantwortung Strukturen aufzubauen, die Betroffene unterstützen, Täter zur Verantwortung ziehen und sich präventiv mit patriarchalen Strukturen und Verhaltensweisen auseinandersetzen. Das Letzte, was sich die Betroffenen anhören sollten sind Anfeindungen, für ihre Entscheidung sich an die Justiz zu wenden.

Es braucht also Räume abseits von Strafverfolgung und Justiz um sich kollektiv mit patriarchaler Gewalt auseinandersetzen zu können und einen radikalen Wandel zu erwirken. Hier stellt das Konzept der Transformativen Gerechtigkeit und kollektiven Verantwortungsübernahme einen Gegenentwurf zum bürgerlich kapitalistischem Staat mit seinem Rechtssystem dar. Das Konzept wurde maßgeblich von Frauen und trans* Personen of Colour in den USA entwickelt, die einen Raum abseits von staatlicher Repression schafften, um sich mit sexualisierter Gewalt auseinanderzusetzen. Die Prämissen, die damit zusammenhängen (Definitionsmacht, Parteilichkeit, Betroffenenzentriertheit) wurden in den letzten Jahren vielfach aufgegriffen. In dieser Auseinandersetzung sind viele Texte entstanden, weshalb wir hier gar nicht weiter ausholen wollen. 

Zentrale Erkenntnis aus unserer internen Auseinandersetzung ist die Wichtigkeit sich frühzeitig mit patriarchalen Verhaltensweisen innerhalb unserer Strukturen auseinanderzusetzen und nicht erst zu warten „bis es wirklich brennt“. Viel zu häufig beobachten wir, wie aus der Not heraus versucht wird, Strukturen aus dem nichts zu schaffen, die die Gewalt auffangen sollen. Diesen Strukturen fehlen dann aber oftmals die Ressourcen um die Betroffenen ausreichend zu unterstützen und einen Aufarbeitungsprozess zu begleiten. Wie können wir unseren Genoss*innen vertrauen, Betroffene und Aufarbeitungsprozesse zu unterstützen, wenn nicht einmal der Wille da ist, diesem Thema im Plenum Zeit einzuräumen und die eigenen patriarchalen Verhaltensweisen zu reflektieren?

4. Fazit 

Wir hoffen, mit diesem Text einen möglichen „Startpunkt“ für interne Reflexionsprozesse, insbesondere, aber nicht nur bei cis-männlichen Genossen anregen zu können.

Denn solche schwierigen und mitunter schmerzhaften Reflexionsprozesse zu beginnen, stellt oft eine große Herausforderung dar, die gern mit einem „bei uns passiert so etwas sowieso nicht“ beiseitegeschoben wird.

Die Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen und sexualisierter Gewalt ist keine Einzelaufgabe, sondern eine Aufgabe, der wir uns als gesamte Bewegung stellen müssen – und zwar nicht erst, wenn die eigenen Strukturen direkt damit konfrontiert werden. Beginnt jetzt, euch mit dem Thema auseinanderzusetzen! Versucht im Plenum gemeinsam darüber zu diskutieren, wie ein möglicher Umgang mit patriarchaler und sexualisierter Gewalt und täterschützendem Verhalten aussehen kann bzw. versucht, verschiedene Szenarien samt Handlungsmöglichkeiten durchzuspielen, um präventiv Lösungsstrategien zu entwickeln, die es ermöglichen, den zumindest einigermaßen geschützten Raum eures Plenums als solchen zu bewahren. Tretet in einen Austausch mit befreundeten Strukturen und Gruppen, diskutiert und vor allem priorisiert diese Gespräche endlich! 

Denn klar ist: Eine radikale linke Praxis funktioniert nur dann, wenn wir gegenseitigen Respekt vor den jeweilige Grenzen haben. Wenn dieser Respekt und das damit einhergehende Vertrauen nicht als Grundlage gegeben ist, ist der antifaschistische Kampf langfristig gesehen nicht widerstandsfähig genug. Und gerade wo zu keinem Zeitpunkt Verlass auf Staat und Justiz ist, ist es umso mehr unser aller Verantwortung, Strukturen aufzubauen, die Betroffene unterstützen, Täter zur Verantwortung ziehen und sich präventiv mit patriarchalen Strukturen und Verhaltensweisen auseinandersetzen.

Wir müssen Räume abseits von Strafverfolgung und Justiz schaffen, damit wir uns kollektiv mit patriarchaler Gewalt auseinandersetzen und einen radikalen Wandel erwirken können.

[1] – Text 1: https://de.indymedia.org/node/82717

[2] – Text 2: https://www.soli-antifa-ost.org/taeterschaft-taeterschutz-und-was-bei-uns-dazu-passiert-ist/

[3] – Text 3: https://www.soli-antifa-ost.org/stellungnahme-zu-taeterschaften-und-taeterschutz-im-sao/